Auf Initiative der aktiven Stuttgarter und in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung der Landeshauptstadt Stuttgart fand am Samstag 29.04.2017 im großen Sitzungssaal des Rathauses das 2. Stuttgarter ZukunftsForum zum Thema „urbane Mobilität der Zukunft“ statt. Hauptredner war Oberbürgermeister Fritz Kuhn.
Er und sechs weitere hochrangige Experten aus verschiedenen Bereichen rund um das Thema Mobilität und knapp hundert interessierte Zuhörer waren der Einladung gefolgt, sich zu dem hochaktuellen Thema zu informieren und auszutauschen. Nach Begrüßung durch unseren Schatzmeister und Moderator, Rainer Schünemann, der die Veranstaltung federführend organisiert hatte, hielt Oberbürgermeister Fritz Kuhn die Eröffnungsrede.
„Ökologie darf nicht zu Lasten der lokalen Wirtschaft gehen“.
Fritz Kuhn, Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart
Kuhn stellte zunächst verschiedenen Ansätze der Stadt Stuttgart zur Verbesserung der Verkehrssituation dar und machte klar, dass er neben dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs für die Zukunft des Personen- und Warenverkehrs auf Elektromobilität setzt. „Stuttgart steht schon gut da“, meinte Kuhn dazu. Aus seiner Sicht sei in Stuttgart schon viel erreicht worden und nannte als Beispiele die 75 Stella-Elektroroller der Stadtwerke Stuttgart und die inzwischen 500 Elektrofahrzeuge von Car2go, die über eine App überall im Stadtgebiet zu günstigen Tarifen gemietet werden können und sehr gut angenommen werden. Beide Anbieter waren während der Veranstaltung im Foyer mit Ständen präsent, so dass sich die Teilnehmer gleich vor Ort informieren und bei Car2go sogar kostenlos registrieren konnten.
Trotz allem sieht Kuhn aber noch viel Verbesserungspotential, vor allem bei der Ladeinfrastruktur und der Reichweite der Fahrzeuge. „Ich muss mit einem Elektroauto von Stuttgart nach Tübingen und zurück kommen“ sagte Kuhn, der in diesem Zusammenhang auch darauf hinwies, dass die Verkehrsprobleme in Stuttgart zu einem ganz erheblichen Teil auch von Pendlern aus der Region verursacht würden.
Hier sieht Kuhn aber auch die Automobilindustrie in der Pflicht, die deutlich mehr in die Herstellung und Verbesserung von Elektrofahrzeugen investieren müsse, zumal der Druck aus dem Ausland steigt. Auch müssten Elektrofahrzeuge deutlich günstiger werden, so dass ein Elektroauto für Stuttgarter Bürger auch als Zweitfahrzeug speziell für die Stadt attraktiv werde. Gerade Stuttgart als Autostadt mit seinen großen Automobilfirmen und Zulieferern müsse hier gemeinsam mit der Politik und den Bürgern eine Vorreiterrolle einnehmen und die Mobilität der Zukunft aktiv gestalten.
Dass die Stadtverwaltung das Thema ernst nimmt und vor allem durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gemeinsam mit der SSB viel für die Verbesserung der Luftqualität tut, stellte Kuhn an einigen aktuellen Beispielen dar. So sei die Stadtbahnlinie U 12 von Remseck nach Dürrlewang verlängert worden und die Verlängerung der Linie U 6 vom Fasanenhof zum Flughafen werde gerade gebaut. Auch sei eine neue Buslinie vom Gemeinderat beschlossen worden, auf der ein Pendelbus im 5-Minuten-Takt zwischen Bad Cannstatt und der Innenstadt verkehren wird.
Was die S-Bahnen aus der Region angeht, sieht Kuhn noch großen Verbesserungsbedarf seitens der Deutschen Bahn bei der Pünktlichkeit. Wenn die S-Bahnen so unpünktlich seien wie bisher, sei es schwer, Menschen zum umsteigen zu bewegen, so Kuhn.
Insgesamt erlebten die Zuhörer einen Oberbürgermeister, der trotz aller Herausforderungen optimistisch in die Zukunft blickt. Künftig solle Stuttgart nicht mehr als Feinstaub-Hauptstadt wahrgenommen werden, sondern im Gegenteil als Vorreiter in puncto nachhaltige und zukunftsfähige Mobilität. „Wenn wir zeigen können, dass neue Mobilität möglich ist, dann haben wir den Exportschlager für die Zukunft“, fasste Kuhn seine Kernthese in einem Satz zusammen.
„Wenn der Durchbruch erst einmal erreicht ist, wird es sehr schnell gehen.“
Steffen Bilger (CDU), MdB
Als zweiter Redner konnte mit MdB Steffen Bilger, Koordinator für Elektromobilität der CDU, ein weiteres politisches Schwergewicht gewonnen werden. Auch Bilger stellte an den Anfang seines Vortrages die Frage, was der Mobilitätswandel für die Automobilregion Stuttgart bedeute. Noch sei der Durchbruch des Elektroautos nicht da, aber wenn es bald soweit sei, stehe der Automobilindustrie ein großer Wandel bevor. „Wir müssen den Wandel gestalten“ meinte Bilger und Verwies als Beispiel auf Norwegen, wo schon heute schon ca. 30 % der Fahrzeuge in den Städten elektrisch unterwegs sind. Die von ihm selbst gestellte Frage, was Norwegen anders mache als wir, beantwortete Bilger mit sehr hohen Steuervorteilen, die Norwegen beim Kauf eines Elektroautos gewähre, während konventionell betriebene Fahrzeuge sehr hoch besteuert werden. Er wies aber auch darauf hin, dass sich Länder wie Norwegen, die keine eigene Automobilproduzenten habe, bei der Förderung leichter tun, da damit keine nationalen Unternehmen benachteiligt werden könnten.
Dennoch findet Bilger, dass auch die deutsche Bundesregierung schon viel zur Förderung nachhaltiger Mobilität tut und nannte als Beispiele die Kaufprämie von € 4000,- für Elektroautos, das Elektromobilitätsgesetz, das unter anderem kostenloses Parken für E-Autos in Innenstädten möglich macht sowie die gesetzlichen Erleichterungen für Car-Sharing-Konzepte.
Auch wenn Bilger Zweifel äußerte, dass das von der Bundesregierung gesetzte Ziel von einer Million zugelassen Elektrofahrzeugen in Deutschland bis 2020 erreicht werden könne, sei das Ziel von sechs Millionen Fahrzeugen bis 2030 eher realistisch, denn – davon ist Bilger überzeugt: „Die Elektromobilität wird sich durchsetzen“.
„Monatlich im Durchschnitt ca. 30.000 Pakete in der Königstraße und 400.000 im gesamten Stadtgebiet!“
Steffen Raiber, Leiter Urban Delivery Systems, Fraunhofer IAO
Als nächster Referent stellte Steffen Raiber anschaulich dar, wie groß der Anteil des Warenverkehrs am städtischen Verkehr inzwischen ist. So nehme die Anzahl der Pakete, die in Deutschland zugestellt werden, jährlich im Schnitt um ca. 6 % und im privaten Bereich sogar um bis zu 10 % zu – eine direkte Folge der zunehmenden Online-Einkäufe. „Es gibt ein starkes Spannungsverhältnis zwischen der Zunahme des Güterverkehrs und dem Handlungsdruck der Städte bei der Luftreinhaltung“, so Raiber, der mit gemeinsam seinen Kollegen am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart Lösungsansätze für dieses Problem erarbeitet, von denen er einige in seiner Präsentation vorstellte. Hier komme der Elektrifizierung der Lieferfahrzeuge eine große Bedeutung zu, da bislang nur rund 5 % aller Lieferfahrzeuge elektrisch unterwegs sind. Nicht unerwähnt ließ Raiber aber auch, dass sich hieraus neue Herausforderungen ergeben, beispielsweise, dass die Ladeleistung eines normalen Stromanschlusses für mehrere Fahrzeuge nicht ausreichend sei und daher für größere Lieferflotten mit mehr als drei Fahrzeugen spezielle Ladevorrichtungen gebaut werden müssen. Eine Investition, die sich aber langfristig rechnen könne.
Besonders die „letzte Meile“, also das letzte Teilstück der Lieferkette bis zum Empfänger, sei sowohl für die Logistikunternehmen als auch für Verkehrsplaner eine große Herausforderung. Um dieser Herr zu werden, würden in den Städten mehr Zwischenlagerstätten und kleinere, effiziente Lieferfahrzeuge benötigt, zog Bilger als Fazit seines Vortrages und zeigte ein paar konkrete Beispiele.
„Wir sind schneller als der Online-Handel.“
Sebastian Bühler, Vertriebsleiter Stuttgart veloCARRIER GmbH
Wie die Warenlieferung in der Stadt konkret funktionieren kann, zeigte Sebastian Bühler mit einem kurzen Filmbeitrag am Beispiel seines innovativen Kurierdienstes veloCARRIER. Die elektrisch unterstützen Lastenfahrräder können zukünftig sogar Lasten bis zu 400 kg transportieren und garantieren eine Auslieferung innerhalb des Stuttgarter Stadtgebietes noch am Tag der Bestellung. Somit könne man bei lokalen Händler einkaufen und erhalte seine Ware stressfrei und CO2-neutral noch am selben Tag – und damit schneller als beim Online-Einkauf, wie Bühler nicht ohne Stolz bemerkte.
„E-mobilität ist mehr als der Austausch eines Antriebsstrangs, sondern Teil eines tief greifenden Veränderungsprozesses.“
Michael Ruprecht, e-mobil BW GmbH, Leiter Markt und kommunale Projekte
Elektromotoren sind nicht die einzige Lösung auf dem Weg zu nachhaltiger und emissionsfreier Mobilität. Auch mit Wasserstoff oder Methangas betriebene Motoren könnten eine Alternative sein, berichtete Ruprecht in seinem Vortrag. Bei der Elektrifizierung sei vor allem bei Fahrrädern schon ein starker Trend spürbar, meinte Ruprecht und verwies auf die vielen Pedelecs, die gerade in Stuttgart mit seiner besonderen geografischen Lage inzwischen zum Stadtbild gehören. Aber auch Busse oder Spezialfahrzeuge könnten künftig elektrisch betrieben werden, wie zum Beispiel am Stuttgarter Flughafen schon umgesetzt. Auch andere Firmen und Kommunen sollten ihre Fahrzeuge mehr und mehr auf emissionsfreie Antriebe umstellen, meinte Ruprecht, der in diesem Zusammenhang auf über 100 verschiedene Projekte und Förderprogramme allein im Land Baden-Württemberg verwies.
Trotzdem: „Ein Auto steht 23 Stunden am Tag rum und eine Stunde im Stau“ – so Ruprecht, durchaus etwas polemisch. Anstatt nur auf einzelne Fahrzeugarten zu setzen, sei die Lösung für den Verkehr in der Stadt die Kombination mehrerer Verkehrsmittel mit möglichst einfacher Umstiegsmöglichkeit. Als gelungenes Beispiel hierfür verwies Ruprecht auf die „Polygo“-Karte der VVS, mit der deren Kunden neben dem öffentlichen Nahverkehr auch andere Verkehrsmittel wie Car to go etc. nutzen können.
„Ohne die digitale Revolution wäre Elektromobilität nicht denkbar.“
Prof. Wolf-Dieter Hasenclever, Vorstandsvorsitzender des NFTE Deutschland e.V.
Welchen Einfluss die Digitalisierung auf die Mobilität der Zukunft hat, gerade bei der Kombination mehrerer Verkehrslösungen, machte Prof. Hasenclever in seinem Vortrag deutlich und spannte dabei den Bogen zwischen der digitalen Revolution und der Frage der Mobilität der Zukunft.
Hasenclever, der unter anderem Mitgründer der Grünen in Baden-Württemberg war, verblüffte die Zuhörer zunächst mit der Information, dass bereits 1985 ein Prototyp eines komplett mit Wasserstoff betriebenen Fahrzeuges in Stuttgart unterwegs gewesen sei – wenn auch von einem bayrischen Autobauer. „Aus dem Auspuff kam schon damals nichts als Wasser“ – berichtete Hasenclever aus eigener Erinnerung. Dass heute, mehr als 30 Jahre später, noch immer der Verbrennungsmotor an erster Stelle stehe, sei vor allem dem Gewinninteresse der Automobilhersteller geschuldet. Allein Daimler habe zum Beispiel mehr als vier Milliarden Euro in die Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors investiert, dass müsse sich amortisieren. Gegen die 30 Milliarden, denen sich Volkswagen jetzt als Strafzahlungen für die Dieselaffäre gegenübersieht, wäre die Forschung an alternativen Antriebskonzepten aber ein Schnäppchen gewesen, stichelte Hasenclever weiter gegen die Autoindustrie. „Deutschland hat seinen Vorsprung verspielt, jetzt wird hektisch versucht, zu korrigieren“.
Lösungen könne aus seiner Sicht aber speziell die digitale Revolution mit sich bringen, die – davon ist Hasenclever überzeugt, auch die Mobilität der Zukunft nachhaltig beeinflussen werde. Allerdings sei die Skepsis in Deutschland, gerade was Datenschutzbedenken bei der Vernetzung verschiedener Mobilitätskonzepte angeht, noch sehr groß., Zum Schluss seines Vortrages hatte Hasenclever aber auch einen Lösungsansatz parat: „Die Aus- und Weiterbildung der Menschen, gerade im Bereich der Digitalisierung, sei der Schlüssel zum Erfolg der deutschen Wirtschaft“, zog Hasenclever sein Fazit – und traf damit auf Zustimmung unter der Zuhörerschaft.
„Die Stadtwerke Stuttgart arbeiten konkret an der Umsetzung der Energiewende.“
Husein Evelek, Leiter Vertrieb urbane Energiesysteme, Stadtwerke Stuttgart GmbH
Zum Abschluss der Veranstaltung stellte Hussein Evelek kurz das Angebot der Stadtwerke Stuttgart vor, die ihre Kunden ausschließlich mit Ökostrom und Erdgas beliefern und schon heute moderne und nachhaltige Energielösungen anbieten. Als Beispiele nannte er, neben den innovativen Stella-Elektrorollern, die Unterstützung der Stadtwerke beim Bau von Photovoltaikanlagen für Privat- und Gewebekunden sowie die Beratung zu „Smart-Homes“ mit möglichst hoher Energieeffizienz.
Nach Abmoderation und Verabschiedung durch den Moderator Rainer Schünemann versammelten sich die Gäste noch im Foyer bei Brezeln und einem Freibier (gesponsert von der Familienbrauerei Dinkelacker) und nutzte die Gelegenheit zu weiteren angeregten Gesprächen oder zur Information an den Infoständen von SSB, Car2Go und den Stadtwerken Stuttgart. Unser besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang der Wirtschaftsförderung der Stadt Stuttgart sowie unseren Sponsoren und Partnern für die Unterstützung.
Impressionen vom Event